Habe keine Angst vor falschen Bewegungen.

Auch ohne Trainingsplan haben wir gelernt zu laufen. Und Angst uns dadurch kaputt zu machen, hatten wir auch nicht.

Ich hatte mal eine junge Teilnehmerin in meinem Funktional Fitness Kurs. Es wurde intensiv trainiert und alle möglichen Bewegungsrichtungen mit eingebaut. Zum Abschluss der Einheit, gab es noch kleine Beweglichkeitsübungen. Unter anderem, den Oberkörper nach vorne runter Bücken. Diese Teilnehmerin hat jedes Training top mittrainiert. Nur bei dieser Übung macht sie plötzlich nicht mit. Sie hatte Angst und „Schmerzen“ beim Bücken. „Ich kann das nicht“. Da sie vor einiger Zeit einen Bandscheibenvorfall hatte. Obwohl Sie Ihren Körper beschwerdefrei bei allen anderen Übungen nutzen konnte, war Sie im Kopf blockiert. Wie kommt so etwas. Aus welchen Gründen haben wir oft vor Bewegungen Angst.

Schon immer bewegt sich der Mensch auf unterschiedliche Art und Weise. Laufen, Rennen, Klettern, Schwimmen, Bücken, Tragen, Hangeln… Dennoch sind in den letzten Jahrzenten die Zahlen an Arthrose, Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen etc. gestiegen. Ist die Belastung und Beanspruchung an unseren Körper größer geworden? Nein, der Anteil an Bewegung ist leider zurück gegangen. Wo hingegen vor ca. 100 Jahren die Menschen noch 20km und mehr zu Fuß zurückgelegt haben, sind es heute vielleicht noch 5km. Auch ist der Anteil an körperlich aktiver Arbeit zurück gegangen. Bis zum 8 Stunden im Sitzen verbringt der Durchschnittsdeutsche am Tag.

Viele Menschen wurden dazu gebracht, das Vertrauen in ihren Körper und die Bewegung zu verlieren.

Im Folgenden möchte ich auf einige Punkte eingehen, die dazu geführt haben, dass sich unser Selbstbild des Körpers verändert hat.

Wer von euch hat schon einmal an einer „Rückenschule“ teilgenommen. Oder hat sich darüber informiert, wie man etwas „richtig“ hebt und trägt? Bestimmt kennen viele die Tipps. Mit gradem Rücken heben, eng am Körper tragen, keine Rotation machen. Aus den Beinen heben… Woher kommen eigentlich diese Empfehlungen?

Die Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten viele spannende Theorien und Modelle über den menschlichen Körper entwickelt. Ein Beispiel ist es beim Heben und Tragen den Menschen mit seinen Muskeln und Knochen mit einem Kran zu vergleichen. Mathematisch lässt sich dann sehr einfach die wirkenden Kräfte auf die Strukturen z.B. Bandscheibe errechnen. „Oh Hilfe, wenn ich so und so etwas anhebe, ist meine Belastung hoch und macht den Rücken kaputt.“ Solche Modelle und die daraus folgende Interpretation habe ich noch vor wenigen Jahren selbst gelehrt bekommen und (weil es so logisch klang) auch in die Welt getragen. Modelle über den Körper, die Funktionalität und den Menschen sind gut und hilfreich für das Verständnis. Aber es sind nur Modelle. Funktionelle Muster in unserer Körpers werden dabei leicht übersehen. Leider haben verschiedene Gründe dazu geführt, dass man die Erklärung nicht mehr als Modell sieht, sondern als einzige Wahrheit. Und da Kommunikation bekanntlich sehr komplex ist wurde aus: „Mit krummen Rücken heben, verändert die Druckverhältnisse innerhalb der Bandscheibe“ zu „Heben mit krummen Rücken oder einseitiges Tragen ist totales Gift für uns. Und macht uns kaputt“. Der erste Teil ist neutral richtig. Aber ein höherer Druck bzw. veränderter Druck ist per se nicht schlecht, sondern normal. Es ist sogar gewünscht! Das Prinzip dahinter lässt sich vereinfach ausdrücken als: use it or lose it.

Uns bleibt im Kopf: Wenn ich mich nach vorne bücke, dann drückt es die Bandscheibe hinten raus, wie das Ketchup aus dem Burger.

Es kann dennoch sehr sinnvoll sein, aus „geradem Rücken“ etwas schweres anzuheben. Hier geht es aber eher um die Effizienz mit der ich meinen Körper nutze. Wenn ich etwas Schweres anheben möchte, „spart“ es Kraft wenn ich mehrere Muskelgruppen einsetze. Und da die Beine sehr stark sind, ist es sehr sinnvoll diese in die Bewegung mit einzubeziehen.

Warum aber schmerzt der Rücken dann doch, wenn ich mal zu oft gehoben habe oder nach langer Gartenarbeit? Sehr vereinfacht ausgedrückt ist Schmerz[1]* oft nur ein Warnsignal unseres Körpers, dass eine Beanspruchung zu viel wird. Der Schmerz tritt z.B. nicht mehr so schnell auf, wenn man diese Bewegung regelmäßig macht. Sich der Körper also an die Belastung unter adäquater Beanspruchung daran gewöhnt. Leider wird der akut nach der Belastung auftretende Schmerz meist so interpretiert: Ich darf nicht so viel machen, ich mache mich kaputt. Diese Form der Interpretation kam aber nicht einfach so, sondern bringt mich zu meinem zweiten Punkt.

Ein weiteres Problem ist in der Masse an Anbietern, Experten und „Wunderheiler“ mit ihren Versprechungen und noch viel schlimmer mit der Verbreitung ihrer Sorgen.

  • „Achtung, wenn du so und so trainierst oder wenn du das falsch machst, dann geht dein Rücken, Knie etc. kaputt“.
  • „Mache nicht diese 3 Fehler“
  • „Rückenschmerzen bei der Gartenarbeit? Mit diesem Gerät können Sie rückenfreundlich Arbeiten“. (PS. Was bedeutet eigentlich Rückenfreundlich? Den Rücken nicht in seiner vollen Funktionalität zu nutzen ist bestimmt nicht freundlich)
  • „Mit diesen 3 Übungen wirst du Beschwerde frei“.
  • Deine krumme Haltung ist Schuld…
  • Deine Faszien sind verklebt…

Wie soll man als Leihe da noch durchblicken? Schließlich hat man doch jetzt seine Problem. Es tut jetzt weh! „Als ich das letzte Mal beim Osteopath, Heilpraktiker, (schlechtem) Physiotherapeut war, hat er rumgedrückt und dann waren die Schmerzen weg.“ Also muss ich immer zu ihm gehen, er wird mich richten. Dieses mechanische Bild über unseren Körper führt leider dazu, dass wir der Meinung sind, dass nur jemand anderes unsere Probleme wegbekommt. Oft helfen auch solche „Manual Therapeutischen Maßnahmen“ um die akuten Beschwerden kurzfristig in den Griff zu bekommen. Aber es liegt meist nicht daran, dass irgendwelche Wirbel wieder eingerenkt wurden.

Jetzt liegt es aber an Ihnen, die Ursachen der Probleme in den Griff zu bekommen. Und gerade Bewegung und Sport bietet ein sehr gutes Mittel, um SELBST WIRKSAM zu werden.

Wir können uns bewegen, wir müssen uns bewegen. Laufen haben wir auch ohne Trainingsplan gelernt. Unser Körper ist ein unglaublich robustes und starkes Konstrukt. Er passt sich seinen Belastungen an und kurzzeitige Beschwerden bekommt er meistens selbst wieder in den Griff. Wir müssen wieder Vertrauen in uns gewinnen und uns loslösen von den negativen Glaubenssätzen, die uns täglich in die Köpfe gebracht werden. Man kann Übungen fast nicht „falsch[2]“ machen, aber man kann viele Übungen sehr viel Effektiver und Effizienter machen. Da liegt ein himmelweiter Unterschied.

Wer Sport anfangen will, soll sich ruhig dabei unterstützen lassen. Vor allem wenn man dabei ein Ziel verfolgt. Und je intensiver das Training wird, umso sinnvoller ist es natürlich sich professionelle Hilfe zu nehmen. Es ist aber nicht notwendig um sich „Gesund zu bewegen“. Und ein gezielter Trainingsplan hilft dabei effizienter zu trainieren. Mein Appell an alle, die bisher nichts bzw, nicht viel machen. Bewege dich erstmal mehr. Dann kann man die Feinjustierung machen.

Ganz wichtig dabei ist es aber, dass man lernt auf seinen eigenen Körper wieder zu hören.

[1] Schmerzen sind etwas äußerst Komplexes. Es gibt unterschiedliche Schmerzformen und Ursachen. Es ist für ein Schmerzverständnis immer wichtig die Bio – Psycho – und Sozialen Ursachen zu betrachten. Viele Ursachen führen zu schmerzen. Oft treten Schmerzen bei Bewegungen oder nach Belastungen auf, dabei liegt die Ursache nicht an der Bewegung sondern ganz wo anders.

[2] Selbstverständlich können wir unseren Körper auch durch zu starke Belastungen schaden zuführen. Auch eine sehr unsaubere Ausführung verschiedener Übungen kann, vor allem bei zu viel Last Probleme hervorrufen. Oft liegt es aber auch daran, dass zu schnell zu intensiv trainiert wurde, anstatt sich und seinem Körper an Belastungen anpassen zu lassen. Wir Leben in einer Gesellschaft, in der es eher darum geht, dass sich Menschen überhaupt bewegen.

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